2017-11-30: "2017 – ein Jahr der verpassten Chancen""

Und schon wieder ist ein Jahr vorbei. Eine beeindruckende Demonstration des individuellen Zeitempfindungsparadoxon hat uns dabei begleitet.
Dies wissenschaftlich völlig zurecht vernachlässigte Phänomen, welches paradoxer Weise beschreibt, dass man Momente oder zeitliche Perioden während ihrer Durchlebung immer genau diametral entgegengesetzt empfindet zur nachträglichen Draufsicht, lässt sich an der Saison 2017 und dem letzten Rennen ebendieser wunderbar veranschaulichen.

Während man das gänzlich spannende, ereignisreiche Jahr 2017, in dem wir uns noch immer befinden, kaum gestern erst begrüßt zu haben denkt, bin ich sicher nicht der einzige, der beim Abu Dhabi GP spätestens in Runde 13 erstmals mit dem Gedanken auf die Uhr geschaut hat, dass dies Rennen doch irgendwann jetzt auch mal vorbei gehen muss. Persönlich war ich wenig überrascht, dass ich nach einem gemeinsamen Formel 1 Gucken mit Freunden zu Hause von meiner Tochter mit den Worten empfangen worden bin: „Da bist Du ja endlich! Ich habe inzwischen bis unendlich gezählt. Zweimal.“ Gefühlt hatte ich das 5 mal geschafft.

Nun das Phänomen: Wenn wir im März 2018 endlich wieder an einem Sonntag mit schwitzigen Händen Kai Ebel (aber NICHT Niki Lauda) ertragen müssen, werden wir an 2017 denken und beim Aufzählen allein der politischen Großereignisse feststellen, dass es kaum ein Jahr gab, das rückwirkend gefühlt länger gewesen wäre. An den Abu Dhabi GP wird man sich hingegen als Randerscheinung während eines Augenblinzelns erinnern, wenn überhaupt. Macht Euch mal ´ne Erinnerung und versucht es mal!

Nun verpasse ich aber fast schon die einmalige Chance, mich über die noch frischen Erinnerungen an das Formel 1 WM Jahr 2017 auszulassen. Einiges ist passiert seit Melbourne. Viel mehr hätte passieren können. Und Müssen?
Sehen wir uns an, wer im Einzelnen etwas getan hat, was Fernando Alonso in seiner Karriere noch nicht passiert ist: Eine sich bietende Chance nicht genutzt!
Klar, als allererstes muss man da Sebastian Vettel persönlich sowie seinen Rennstall Ferrari nennen. Wer sich noch gewundert hatte, dass Vettel als abgeschlagener und chancenloser Dritter mit über 35 Sekunden Rückstand lächelnd vom Podest in Monza herunterwinkte, als wäre völlig an ihm vorbei gegangen, dass er gerade von 2 Mercedes deklassiert wurde und erstmals in der Saison die WM Führung an Lewis Hamilton abgeben musste, der durfte später erkennen, was Vettel da schon ahnte: Nach 4 ausgewiesenen Mercedes Strecken noch immer auf 3 Punkte an der WM Führung dran zu sein mit nun 3-4 Strecken kommend, die dem Ferrari auf den Leib geschneidert schienen, war eine zuversichtsreiche Ausgangsposition.

Nur das, was man daraus gemacht hat, war gelinde gesagt enttäuschend. Vielleicht kann man Vettel nicht die alleinige Schuld am Startcrash von Singapur geben. Aber man muss von einem, der um die WM kämpft und hier das beste Paket hat, um aus einem 3 Punkte Rückstand wieder eine 10 Punkte Führung zu machen, verlangen, einen solchen zu verhindern. Denn statt 10 Punkte Vorsprung wuchs der Rückstand auf 28 Punkte.

Und auch wenn man Vettel für die Aufholjagd in Malaysia gratulieren kann, darf es in einer solchen Phase der WM nicht passieren, dass der Ferrari sich im Qualifying verhält wie ein bockiges Springpferd, das einfach verweigert. Vettel hätte das Rennen gewonnen, wenn er aus der ersten Reihe gestartet wäre.
Dass dann mit der defekten Zündkerze in Runde 4 des Japan GP nochmal weitere 15 bis 18 Punkte liegen geblieben sind, war die endgültige Entscheidung. Die 3 Rennen hätten punktemäßig bei normalen Rennverläufen mit 65:52 für Vettel ausgehen müssen. Stattdessen waren es 12:68. In dieser entscheidenden Phase der WM, wo man hätte da sein müssen, haben Vettel und Ferrari versagt und 69 Punkte gegen Hamilton liegen lassen. Der Rückstand im WM-Endklassement betrug übrigens 46 Punkte.

Doch der 4-fache Ex-Weltmeister befindet sich in guter Gesellschaft.
Nach einem vorsichtig formuliert mageren Jahr 2016 bekam Jolyon Palmer 2017 eine zweite Chance im Renault. Obwohl seine Karriere in den Nachwuchsserien verheißungsvoll war, konnte er im ersten Jahr nicht überzeugen, doch habe ich Verständnis für die Geduld, die Renault mit ihm hatte. Doch nach 16 Rennen, einem Qualifying Duell Ergebnis von 16:0 für Hülkenberg und einem einzigen Punkteergebnis zog Renault die Notbremse, holte Carlos Sainz dieser wiederum die entscheidenden Punkte, um in der WM Endabrechnung vor Sainz eigentlichem Team Torro Rosso Rang 6 zu sichern. Palmer verschwindet im Nirgendwo.

Ebenfalls geduldig ist man bei Williams gewesen und immer noch. Lance Stroll tat sich in der ersten Saisonhälfte extrem schwer; auch gegen den Teamkollegen. Doch in Azerbaidschan platzte der Knoten mit einem dritten Rang und Stroll ließ diesem einige Ergebnisse folgen, die Respekt verlangen. Warum Stroll zum Saisonende dann doch wieder so stark einbrach, dass trotz klarer Vertragssituation mit Stroll und ohne Massa der Brasilianer vorsorglich nach jeder akzeptablen oder guten Session darauf verweisen musste, dass er noch immer auf Top-Niveau unterwegs ist, könnte sich Mitte 2018 erweisen.

Und Japaner verpassen zuweilen Chancen. Honda hatte im ersten Jahr mit McLaren keinen guten Motor, aber das Team zeigte 2016 aufsteigende Tendenzen. Warum man den Hamster im Laufrad des Honda 2017 aber dann nur Diet Coke fütterte, ist unverständlich. Ein Leistungsdefizit von 60 bis 80 PS wird dem Aggregat unterstellt. Und wer sich an Fernando Alonsos legendäre Funksprüche erinnert und Rennen Revue passieren lässt, in denen Alonso eine gute Startposition nicht in ein Rennergebnis umsetzen konnte, weil er einfach in jeder Runde auf der Geraden einen Platz verloren hat und in den Kuren nunmal nicht durch den Gegner durchfahren kann, ist tragisch. Die Qualifying Performance von Spa war sicher der beste Fingerzeig, wo dieser McLaren mit einem leistungsfähigen Motor stünde. Man darf daher auf 2018 gespannt sein.
Und selbst die Organisation an sich schmiedet heiße Eisen nicht gründlich.

Anstatt dass der neue Eigentümer der Formel 1, Liberty, die Gunst der Aufbruchstunde nutzt, um Weichen in die richtige Richtung zu stellen, fällt den Amis nichts besseres ein, als für viel Geld busweise A und B Prominenz aus den verschiedensten Gewerken heranzukarren, die sich dann live vor Ort langweilen dürfen. Dabei ist es doch gar nicht so schwer. Personell hätte man dem greisen Bernie Expertentum nachfolgen lassen können. Einen Gerhard Berger, Martin Brundle oder Jacques Villeneuve hätte man ja nicht mal als neuen Chef engagieren müssen, aber einen im Rennsport (und nicht ausschließlich in medialer Vermarktung) erfahrenen Sympathieträger zumindest als Berater an Bord zu holen, wäre das Gebot der Stunde gewesen. Und hätte sicher weniger Millionen verschlungen.

Auch das Regelwerk hätte man kurzentschlossen zwecks mehr Spannung anpassen dürfen. Doch anstatt einfach jedem Team freizustellen, mit welchem Reifen man startet, ob und wenn ja auf welche Reifen man wechselt, indem man die Pflicht zu Boxenstopps und die für mindestens 2 verschiedene Reifen abschafft, um mehr Flexibilität und somit mehr verschiedene Strategien zu erlauben, macht man einfach weiter und strapaziert Fahrer, Teams und Kalender zum äußersten, um von dem viel zu oft viel zu langweiligen Einheitsbrei einfach mehr servieren zu können.

Doch von Pessimismus wird die Welt nicht besser. Aufgeschoben ist in dem Falle ja nur für Palmer auch aufgehoben. Vettel kann 2018 seinen fünften WM-Titel holen, Stroll sich durch pure Leistung von dem immer im Rennoverall hinter der Boxengasse einsatzbereiten Massa-Schatten lösen, Honda kann unter völlig neuen Voraussetzungen 2018 die Weichen für eine lange und erfolgreiche Zukunft mit dem Mateschitz Konzern stellen und die ersten Reifentests für die 2018-er Compounds sehen auch schon wieder so vielversprechend aus, dass schon jetzt, nur wenige Stunden nachdem ich mit diesem Corner angefangen habe, die Vorfreude schon wieder überwiegt….

Euch allen eine schöne Winterpause und bis zum nächsten Jahr,

Euer Alex

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